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Interkulturelle Kommunikationskonflikte in polizeilichen Vernehmungen mit Migranten

Nach offiziellen Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge lebten 2009 fast 7 Millionen Ausländer in Deutschland. Setzt man dazu die polizeiliche Kriminalstatistik des Bundesministeriums des Inneren mit statistisch erfassten knapp über 6 Millionen Straftaten im selben Jahr ohne besondere Wertung und Gewichtung in Relation wird schon quantitativ deutlich, welche vielseitigen Herausforderungen eine kulturell diverse Gesellschaft an staatliche Institutionen wie die Polizei stellt.

Fernab von dem medial umfassend erörtertem Thema der Ausländerkriminalität spielen Migration und interkulturelle Kommunikation im Kontext polizeilicher Vernehmungen eine große Rolle. Polizisten im operativen Dienst begegnen der alltagsweltlichen Wirklichkeit. Sie sind es, die im direkten Kontakt mit Beschuldigten auf der Grundlage erlernter Vernehmungsstrategien den Tathergang rekonstruieren müssen. Im Verlauf einer Vernehmung eingesetzte Kommunikationsstrategien bauen auf einer kooperativen Grundhaltung des Beschuldigten auf. Verständigung und gegenseitiges Verstehen sind der Schlüssel zu einer erfolgreichen Kommunikation. Gegenseitige Stereotypen und Erfahrungen verhindern eine unvoreingenommene Kommunikation. Im Kontext der Vernehmung von Migranten stellen Sprachbarrieren oftmals ein primäres Hindernis da, das es zu überwinden gilt. Jedoch schließen interkulturelle Kommunikationskonflikte in Vernehmung weit mehr als Sprachprobleme ein. Migranten der zweiten oder dritten Generation bedienen sich der deutschen Sprache in vielen Fällen sehr gewandt und beherrschen kulturspezifische kommunikative Fertigkeiten. Eine kooperative Zusammenarbeit und zielführende Kommunikation in einer Vernehmung können trotzdem ausbleiben. Offene und verdeckte interkulturelle Konflikte können hier als Ursache in Frage kommen.

Norbert Schröer, Gregor Sterzenbach und Ute Donk nähern sich in ihren Untersuchungen und Fallstudien verschiedenen Aspekten der interkulturellen Praxis zwischen Vernehmungsbeamten und Migranten an. So kommt Norbert Schröer in seiner Arbeit „Interkulturelles Patt. Kommunikationsprobleme zwischen deutschen und türkischen Migranten in Beschuldigtenvernehmungen“ zu dem Ergebnis, dass Sprachbarrieren bei der zweiten und dritten Generation nicht mehr das vordergründige Problem seien. Vielmehr erlaubt die Kenntnis von Sprache und Vernehmungsroutinen die kommunikative Anpassung des Beschuldigten an den Gesprächsverlauf. Verfahrenskundige Migranten sind so in der Lage eine Versachlichung des Gesprächs herbeizuführen. Die Ermittlungshaltung des Beamten trifft auf die Verteidigungshaltung des Beschuldigten. Eine für eine erfolgreiche Vernehmung essentielles Vertrauen und eine kooperative Einstellung entstehen nicht. Vor allem das bei Migranten sehr ausgeprägte Misstrauen gegenüber der deutschen Polizei hemmen eine Vernehmung. Aufgrund spezifischer Migrationserfahrungen und dem negativen Bild von der Polizei als Ordnungsmacht entwickelt sich kein Vertrauen. Migranten nehmen die Polizei „als behördlicher Repräsentant der gegen sie gerichteten gesamtgesellschaftlichen Ausgrenzungsbestrebung“ [Schröer (2003): S. 94] wahr. Misstrauen und Erwartungshaltung schützen den beschuldigten Migranten vor für Vernehmungen typischen Desorientieriungsstrategien. Mangelnde Loyalität und fehlendes Grundvertrauen führen somit zu einer effektiven Verteidigungsstrategie auf Seiten der Migranten und erklären das deutlich niedrigere Verurteilungsrisiko ausländischer Beschuldigter.

Gregor Sterzenbach bestätigt in seiner Arbeit „Aspekte der interkulturellen Praxis zwischen Polizei und Fremden“ das Misstrauen und die Fremdheit von Migranten gegenüber rechtsstaatlicher Institutionen. Die Arbeit mit Migranten im polizeilichen Umfeld ist geprägt von beiderseitigen Fremdheitserfahrungen. Die gegenseitige Wahrnehmung ist dabei nicht neutral. Vielfältige Vorurteile und Erwartungshaltungen führen zu Fehlhandlungen und Konflikten aufgrund von Missverständnissen. Kulturell bedingte Kommunikationsstrategien behindern den Verlauf des Gesprächs. Zusätzlich verschärfen die Angst vor Stigmatisierung und Strafverfolgungen, die beispielsweise in Form von Abschiebung eine existentielle Bedrohung für den Migranten darstellen können, den Kommunikationskonflikt. Der Aufbau von Vertrauen und einer kooperativen Grundhaltung wird unmöglich. Gegenseitiges Verstehen, nicht nur auf verbaler Ebene, und Verständnis der Rolle und Situation des anderen sind für eine erfolgreiche Vernehmung unabdingbar.

Nichts desto trotz verhindern in erster Linie Sprachbarrieren die Gesprächsführung. Nicht-Muttersprachler sind in der Vernehmung gegenüber dem Beamten unterlegen. Sie können ihre Interessen nicht überzeugend vertreten. Mangels sprachlicher Voraussetzungen kommt in solchen Fällen ein Dolmetscher zum Einsatz. Ute Donk befasst sich in ihrer Arbeit „Strukturelle Probleme in der Vernehmung nicht deutschsprachiger Beschuldigter“ mit dem Problem der Sprachkompetenz und Problemen, die beim Einsatz von Dolmetschern in Vernehmungen auftreten können. Dem professionellem Selbstverständnis folgend sieht sich der Dolmetscher als Sprachvermittler, der relativ wertfrei von der einen in die andere Sprache übersetzt. Dem gegenüber steht jedoch die Forderung vieler Polizeibeamter nach einer kooperativen Haltung des Dolmetschers und bestenfalls kriminalistischer Fähigkeiten. Eine direkte Verständigungsmöglichkeit und damit einhergehend die Unmöglichkeit einer fundierten Einschätzungen zwingen den Vernehmungsbeamten, dem Dolmetscher ein gewisses Maß an Vertrauen entgegen zu bringen. Zu Beginn einer jeden Vernehmung mit Dolmetscher müssen die Rollen der Gesprächsteilnehmer aus Sicht des Vernehmungsbeamten geklärt werden. Dabei ergeben sich laut Donk zwei entscheidende Probleme: Zum einen muss die tatsächliche Sprachfähigkeit des Beschuldigten überprüft und zum anderen der Dolmetschertyp ermittelt werden. Daraus ergibt sich die Integrationsmöglichkeit des Dolmetscher in der Vernehmung. Eine unvermittelte Übersetzung unterläuft dabei den Sprachtest, gibt aber gleichzeitig Aufschluss über Übersetzungsgewohnheiten, Kooperationswille und kriminalistische Fähigkeiten des Dolmetschers. Der Dolmetscher bewegt sich zwischen den zwei Polen der reinen Übersetzung und dem eigenständigen Handeln und Eingreifen in den Vernehmungsverlauf. Eine Sozialisierung mit dem Vernehmungsbeamten, aber auch eine Kooperation mit dem Beschuldigten sind so möglich.

Alle Untersuchungen im interkulturellen Kontext setzen eine umfassende kulturelle und sprachliche Kompetenz des Beobachters voraus. Der von Schröer favorisierte Einsatz von Co-Interpreten aus dem untersuchten Kulturraum minimiert Fehlinterpretationen, die zu falschen Schlüssen führen könnten.

Der Abbau von Kommunikationsbarrieren scheint eine der wichtigsten Aufgaben im Umgang von Polizei und Migranten zu sein. Vernehmungen folgen bestimmten Routinen, die im interkulturellen Kontext oft nicht Ziel führend sind und deren Einsatz ineffektiv wird. In ihrer Gesamtheit zeichnen die drei Texte von Schröer, Sterzenbach und Donk ein umfassendes Bild verschiedener Aspekte von Kultur, die den Verlauf einer Vernehmung beeinflussen können. Im Vordergrund steht dabei das Ziel einer erfolgreichen Vernehmung. Eine Vernehmung gilt dann als erfolgreich, wenn der Beschuldigte kooperativ agiert und eine Aussage tätigt. Auf den ersten Blick sind Sprachbarrieren tatsächlich das größte Hin-dernis, dass es in einer Vernehmung zu überwinden gilt.

Im Berufsalltag entwickeln Vernehmungsbeamte, die häufig Migranten als Tatverdächtigen begegnen, pragmatische Handlungsroutinen, die aus der Sprachlosigkeit führen und eine Vernehmung trotz aller Schwierigkeiten erlauben können. Eine Minimierung der strukturellen Probleme beim Einsatz von Dolmetschern ließe sich durch verschiedene Maßnahmen realisieren: Zum einen die Verpflichtung auf Seiten der Polizei die Vermittlung interkultureller Kompetenzen in die Polizeiausbildung zu integrieren. Womit auch eine Sensibilisierung der Polizeibeamten für tiefer liegende offene oder verdeckte interkulturelle Konflikte, wie sie Sterzenbach und Schröer thematisieren, verbunden wäre.

Zum anderen das Angebot kriminalistischer Weiterbildung für Dolmetscher sowie die langfristige Zusammenarbeit, um gegenseitig Vertrauen aufzubauen. In vielen Bundesländern wurde mittlerweile interkulturelle Kompetenz als eine Schlüsselqualifikation in der Ausbildung integriert und die Zusammenarbeit mit NGOs, die sich ethnischen Minderheiten in Deutschland widmen, ausgebaut.

Abgesehen von diesen durchaus als positiv zu beurteilenden Entwicklungen, erschweren Erwartungen an das Gegenüber und Stereotypen vom anderen auch weiterhin Vernehmungen. Sprachprobleme lassen sich langfristig schneller beseitigen, wohingegen tief verankerte kulturelle Werte und Kommunikationsmuster über Generationen weiter gegeben werden. Kulturell bedingte divergierende Kommunikationserwartungen führen zu Missverständnissen und Konflikten. Mitarbeiter staatlicher Institutionen sind dazu angehalten, im Umgang mit Migranten neue Kommunikationsstrategien zu entwickeln.

Schröer und Sterzenbach kommen zu dem Ergebnis, dass Ängste und Misstrauen gegenüber der Institution Polizei sowie Frustration auf beiden Seiten neben kulturell bedingten Unterschieden die wichtigsten Gründe dafür sind, dass Vernehmungen scheitern. Kulturelle Unterschiede kann und sollte man nicht beseitigen, jedoch dafür sensibilisieren. Aber an der Wahrnehmung der Polizei sowie der Tatsache, dass auch in Deutschland sozialisierte Migranten in vielen Fällen als Ausländer wahrgenommen und dementsprechend behandelt werden, ließe sich sicherlich etwas ändern.

Die Kenntnis bestimmter Verhaltensmuster und Kommunikationsstrategien verschiedener ethnischer Gruppen ist jedoch nicht alleiniger Garant für erfolgreiche Vernehmungen. Migranten teilen nicht zwangsläufig die gleichen Migrationserfahrungen, vielmehr prägen sie persönliche Erfahrungen. Wer aus seiner Heimat vertrieben wurde oder als politisch verfolgt gilt, hat andere Ängste als ein Arbeitsmigrant oder jemand, der in 3. Generation in Deutschland lebt und hier sozialisiert wurde.

Alle drei Autoren lassen einen Aspekt außer Acht, der am Anfang einer Vernehmung steht und den Einstieg ins Gespräch von Beginn an negativ überlagern kann. Generell geraten Ausländer schneller unter Tatverdacht als Deutsche. Auch werden sie Rechtswidrigkeiten von Ausländern deutlich häufiger zur Anzeige gebracht als gleiche Vergehen von Deutschen. Im öffentlichen Diskurs werden Migranten oft als krimineller eingestuft. Solche und andere allgemein gesellschaftlicher Diskurse können zweifellos die Grundeinstellung eines Vernehmungsbeamten gegenüber einem Beschuldigten und damit den Gesprächsverlauf und ein mögliches Drängen zur Unterzeichnung eines Geständnisses beeinflussen.

Das Anliegen über die Probleme, die im Zusammenhang mit der Vernehmung von Migranten aufkommen, näher zu untersuchen ist sinnvoll. Untersuchungen wie sie Schröer, Sterzenbach und Donk durchgeführt haben geben in ihrer Gesamtheit einen vielseitigen Einblick darüber, welche Herausforderungen kulturelle Diversität an staatliche Institutionen, hier die Polizei stellen. Anhand solcher und ähnlicher Studien müssen für die praktische Polizeiarbeit Lösungen abgeleitet werden, die interkulturelle Missverständnisse minimieren und erfolgreiche Vernehmungen fördern. Der Polizeibeamte muss als Ansprechpartner für jedermann, auch für Migranten werden. Ein erfolgversprechender Lösungsansatz ist eine offensive Öffnung der Polizeiausbildung für junge Menschen mit Migrationshintergrund, die als sich als hybrides Wesen in beiden Sprachen und Kulturen zu Hause fühlen. Eine Abbildung der Bevölkerungsstruktur in den Reihen der Polizei, wäre demzufolge einer der effektivsten Wege Kommunikationsproblemen zwischen Vernehmungsbeamten und Migranten zu begegnen. Der Einsatz eines Dolmetschers würde sich erübrigen.

Literatur

  • Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg (2004): Interkulturelle Kompetenz in der Polizeiausbildung
  • Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2010): Ausländerzahlen 2009
  • Bundesministerium des Inneren (2009): Kriminalstatistik 2009
  • Bundeszentrale für politische Bildung (2001): Ausländerkriminalität. In: Informationen zur politischen Bildung
  • Donk, Ute (1996): „Aber das sind Sachen, die gehen absolut an mit vorbei!“. Strukturelle Probleme in Vernehmung nicht deutschsprachiger Beschuldigter
  • Schröer, Norbert (2003): Interkulturelles Patt. Kommunikationsprobleme zwischen Vernehmungsbeamten und türkischen Migranten in polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen
  • Sterzenbach, Gregor (2004): Aspekte der interkulturellen Praxis zwischen Polizei und Fremden – Einblicke in ein Forschungsprojekt