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Poetry

Zeugnis eines Theaters

Es wurde dunkel im Saal, die Lichter waren alle erloschen. Versunken in den weichen, durchgesessenen roten Sesseln saß ich da und atmete die Luft des alten Theaters ein. Ich war die einzige in dem Theater, die Tür stand einen Spalt weit offen und die Neugier zog mich unweigerlich hinein. Weder im Foyer noch an der Garderobe war eine Menschenseele zu entdecken, kein Gast und kein Mitarbeiter kreuzte meinen Weg hinein in den Theatersaal. Ich war allein.

Als sich plötzlich der Vorhang öffnete und das Licht auf der Bühne anging. Mit einem Schlag war die Bühne hell erleuchtet. Ich zuckte zusammen und erschreckte mich, mein Herz raste. Bisher war ich felsenfest davon überzeugt gewesen, dass das Theater völlig verlassen war. Auf der Bühne. Trümmer. Zerstörte Kulissen hingen müde vom Kampf von der Decke hinab, trostlos und traurig an einem Seil, das zu zerreisen drohte. Auf dem Boden zerbrochene Scherben, ein zerbrochener Stuhl, der wohl sein eines Holzbein eingebüßt haben musste. Ein Schauer lief mir über den Rücken und ich spürte, wie sich die Gänsehaut langsam auf meinem Körper ausbreitete. Wie gefesselt saß ich auf meinem Stuhl und konnte mich kaum rühren. Ich war angesichts der Szene, die sich mir darbot, völlig erstarrt und reglos. Durch meinen Kopf schossen tausende Gedanken. Was mochte sich wohl hier abgespielt haben?

Ich atmete tief ein, so wie ich es in all den Yoga-Kursen und Achtsamkeitsratgebern dieser Welt schon oft gelesen hatte. Ich fühlte, wie ich ganz langsam und allmählich erst meine Finger, Glied für Glied, dann meine Hände und meine Arme und schließlich meinen ganzen Körper wieder bewegen konnte. Die anfängliche Schockstarre wich von mir und ich spürte wieder das Blut in meinen Adern pulsieren. All meinen Mut zusammgenommen kletterte ich die kleine Treppe an der linken Seite des roten, schweren Samtvorhangs hinauf. Das Holz knarrzte mit jedem Schritt unter meinen Füßen. Eine Holzlatte ragte ein wenig aus dem Boden hinaus und ich stolperte beinahe, konnte mich aber gerade noch so an dem zerborstenen Stuhl abstützen statt in die Scherben zu fallen. Zwischen all den Scherben, die vor meinen Füßen lagen, entdeckte ich ein Dokument. Bei genauerem hinsehen, erkannte ich einen Reisepass. An der Stelle, wo normalerweise ein Foto war, klaffte ein Loch. Das herausgerissene Foto fiel zu Boden. Auf dem Foto war ein junger Mann zu erkennen, dunkle kurze wuschelige Haare, tief schwarze Augen, die ein Meer von Traurigkeit erahnen ließen, ein aufrechter, gerade Blick. Ich hob das Foto auf und steckte es zurück in den Pass. Mein Herz schlug schneller, als ich durch das Dokument blätterte. Darin entdeckte ich unzählige Stempel, die von einer langen Reise zeugten – Libanon, Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien…Österreich.

Wie ein Blitz schoß ein Gedanke durch meinen Kopf: Balkanroute! Dachte ich nur.


Dieser kurze Text ist eine Einleitung zu einer Geschichte, die noch geschrieben werden kann. Sie ist inspiriert von dem wunderbaren Buch „Odysseus aus Bagdad“ und den Filmen „Nur wir drei gemeinsam“ und „Wüstentänzer.