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Workshop-Konzept: Netzcourage

Als ehrenamtliche Dozentin für eine Gruppe junger Geflüchteter zwischen 18 und 25 Jahren, vorwiegend aus Syrien und Afghanistan und vor allem männlich, entwickle ich oft an die Interessen und den Bedarf meiner Gruppe angepasst Konzepte für Workshops mit ihnen. Eine große Herausforderung ist es, in nur 90 Minuten Inhalte und Werte zu vermitteln, die ihnen im Alltag in Deutschland und im Berufsleben helfen werden. Neben den Sprachkenntnissen (Niveau B1/B2) ist oft die mangelnde Konzentration der Teilnehmer*innen eine echte Herausforderung. Angepasst an die Ausgangssituation habe ich einen 90 minütigen Workshop zum Thema Netzcourage konzipiert, den ich gerne teilen möchte.

Netzcourage heißt mutig zu sein. Und für sich und für andere einzustehen, analog zu Zivilcourage, nur halt eben im Internet, in sozialen Netzwerken, Foren oder bei YouTube.

Das Thema verlangt von der Moderation neben der Sachkenntnis rund um Netzcourage-Themen ein gutes Gespür für die unterschwelligen Themen und Rollenmuster in der Gruppe. Die Moderatorin sollte sowohl Geschlechterrollen als auch rassismuskritische Konzepte kennen und eine eigene Haltung haben. Das Thema bietet aufgrund seiner vielfältigen Phänomene viel Raum für Erfahrung aber auch die Gefahr, dass Konflikte aufbrechen und eskalieren.

Und nicht vergessen: Es kommt immer anders, als du denkst. Also genug Flexibilität einplanen und kreativ improvisieren.

Ziele des Workshops

Das übergeordnete Ziel des Workshops ist es, die Teilnehmer*innen für ihren eigenen Handlungsspielraum im Internet zu sensibilisieren und ihnen zu vermitteln, welche Phänomene ihnen begegnen können, wie z.B. Cyber-Mobbing, Hate Speech oder Sexting. Daraus leiten sich sich folgende untergeordneten Ziele ab:

  • Z1: Bewusstsein schaffen: Was kann passieren? Wie kann ich mich verhalten?
  • Z2: Handlungsspielräume aufzeigen: Was kann ich tun? Was können andere tun, wie z.B. die Anbieter? Was sollte ich zu meinem eigenen Schutz besser lassen?
  • Z3: Situation erleben und nachfühlen: Wie verhalte ich mich selbst? Inwiefern werde ich selbst zum Täter/Opfer?

Konzept und Ablauf des Workshops

1. Ankommen

Ruhe schaffen, Smartphones weglegen, kurze Abfrage, ob etwas Dringendes anliegt bei den Teilnehmer*innen

Zeit: abhängig von der Gruppe, aus Erfahrung mit der Gruppe bis zu 5 Minuten

2. Aktivierung: 4-Ecken-Spiel

mit 5-7 Situationen aus dem Themenfeld, um die Teilnehmer*innen zu aktivieren und einen Bezug zwischen dem abstrakten Begriff Netzcourage und ihrer eigenen Lebenswelt aufzubauen. Außerdem kann so gemeinsam eine grobe Themenland-Karte erarbeitet werden. Gleichzeitig kann die Moderation die Teilnehmer*innen kennenlernen. Das hilfreich um für das spätere Rollenspiel zu erfahren, welche Erfahrungen (positiver/negativer) Natur die Teilnehmer*innen schon haben oder Ängste, um die Rollen später entsprechend bewusst zu vergeben.

Methode: Das 4-Ecken-Spiel bietet die Möglichkeit, Meinungen, Erfahrungen und Positionen der Teilnehmer*innen kennenzulernen. Zu einem Thema/Situation werden den Teilnehmer*innen jeweils 4 gleichwertige Reaktionen/Meinungen vorgeben. Sie wählen je eine aus, und zwar die, die ihrer eigenen Position am ehesten entspricht. Das Spiel sollte den Raum nutzen. Bei größeren Gruppen empfiehlt sich ein Austausch in der Kleingruppe/Murmelgruppe, bei kleineren Gruppen kann der Austausch direkt in der gesamten Gruppe erfolgen. Eine gute Inspirationsquelle für Situationen im Internet ist das Material von Klicksafe e.V. zum Thema „Verletztendes Online-Verhalten„.

Zeit: etwa 10 Minuten für Einordnung und Austausch/Reflexion

3. Theoretischer Input „kritische Phänomene“

Ziel ist es aufbauend auf den Themen aus dem 4-Ecken-Spiel , einen gesamten Überblick inklusive der Erläuterung der einzelnen Phänomene zu geben. Hier geht es also um die Vermittlung von Wissen.

Es empfiehlt sich, die Phänomene auf einzelnen Moderationskarten bereits vorbereitet zu haben und mündlich Erläuterung und Beispiele mit der Gruppe zusammenzutragen.

Zeit: etwa 10 Minuten, ggfs. kürzer

4. Rollenspiel „Offline-Posting“

Ziel ist es, verschiedene Rollen sichtbar zu machen und zu erleben: Opfer, Täter, Retter, Mitläufer, Vermittler.

Situation: Du möchtest programmieren lernen. Da niemanden kennst, der dir weiterhelfen kann, entscheidest du dich, deine Frage in einer Facebook-Gruppe/Forum zu posten. Du möchstest wissen, wo und wie du schnell lernen kannst. Leider kannst du dir teure Kurse nicht leisten. Du bist eine junge Frau 20 Jahre alt und bist vor 2 Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen.

  • Person 1: 20 jährige Geflüchtete, Anfängerin
  • Person 2: Du bist ein alter Hase im Programmiergeschäft und genervt von den Fragen, sie langweiligen dich. Du willst mit Profis reden. „Schon wieder, so ein Anfänger…“
  • Person 3: Du hast schon ein paar Webseiten programmiert und denkst, dass Frauen von Technik eh keine Ahnung haben.
  • Person 4: Du bist weltoffen und bringst anderen gerne etwas bei. Du freust dich über die Frage und findest es cool, dass du weiterhelfen kannst mit Rat und Tat. Du bist nicht auf den Mund gefallen und engagierst dich in der Flüchtlingshilfe.
  • Person 5: Du bist Admin der Gruppe und musst dafür sorgen, dass keiner beleidigt wird.
  • Person 6: …

Achtung: In dem Setting sollte beachtet werden, dass die Anonymität bzw. die persönliche Distanz in Internetforen bzw. auf Facebook oft eine schneller eskalierender Dynamik entwickelt und auch „härtere“ Kommentare gepostet werden.

Grenzen: Sprachbarriere, klare Haltung der Moderation, Übergriffe/Angriffe einordnen, Gruppendynamik beachten, politisch/ethische Aspekte auf dem Schirm haben, Eskalation und Konfliktmanagement beachten, Raum und Vertrauen für die jeweiligen Teilnehmer*innen schaffen. Rollen müssen ans jeweilig Setting angepasst werden.

5. Auswertung des Rollenspiels

In der Auswertung sollte vor allem auf die emotionale Ebene, die Reaktionen und Gefühle der Teilnehmer*innen eingegangen werden. Dazu eignen sich folgende Fragen:

  • Wie geht es dir?
  • Was hast du beobachtet? Bei dir? Bei den anderen?
  • Was hat dich überfordert? Was ist gut gelaufen? Was hat dich überrascht?

Ziel ist es noch einmal, die eigene Rolle und das eigene Verhalten der Teilnehmer*innen zu reflektieren und einzuordnen. Gleichzeitig können erfolgreiche Verhaltensmuster aus dem Rollenspiel auf Moderationskarten gesammelt werden.

6. Theoretischer Input “ Handlungsoptionen und rechtlicher Rahmen“

Ziel ist es aufbauend auf dem Rollenspiel, einen Überblick zu geben, was . Hier geht es also um die Vermittlung von Wissen. Die Handlungsoptionen können danach geclustert werden, wie viel Mut sie von einzelnen fordern und wie sicher sie sind. Denn bei allem Mut, sollte der Selbstschutz nicht verloren gehen. Auch können die Optionen bewertet werden, was eine eindeutige Straftat ist und was nicht. Oder welche Autoritäten um Rat gefragt werden können, das heißt, ob die Option besser alleine oder als Gruppe erfolgreich sein kann.

Es empfiehlt sich, die Handlungsoptionen auf einzelnen Moderationskarten bereits vorbereitet zu haben und mündliche Erläuterung und Beispiele mit der Gruppe zusammenzutragen.

Zeit: etwa 10 Minuten, ggfs. kürzer

7. Rückfragen und Feedback-Runde

Am Ende sollte noch genug Raum für Rückfragen der eigenen Teilnehmer bleiben. Für den Workshop eignet sich mit den Bildern Mülleimer, Koffer und Waschmaschine zu arbeiten:

  • Waschmaschine: Welche Fragen sind noch offen?
  • Mülleimer: Was lässt du hier? Was passte nicht?
  • Koffer: Was nimmst du mit? Was hast du gelernt?

Zeit: etwa 5 Minuten